Bayerische Ostgesellschaft e.V.
 

Unsere Festschrift: 50 Jahre Bayerische Ostgesellschaft e.V.

Interview mit der Referentin unseres Festvortrags Dr. Anke Giesen: "Opposition in der Russischen Föderation" im Münchner Merkur vom 22.11.2023

Bericht über unsere Festveranstaltung am 13.11.2023

50 Jahre Bayerische Ostgesellschaft 

Anlass zu Rückbesinnung und Standortbestimmung in festlichem Rahmen. Am 13.11.2023 trafen dazu über einhundert Gäste im Isar-Saal des Münchner Hofbräukellers zusammen, darunter erfreulich viele Weggefährten, die noch den Vorgänger, die „Gesellschaft zur Förderung der Beziehungen zwischen der BRD und der UdSSR“ (1973-1993) erlebt hatten und jetzt teilweise in der befreundeten Partnerorganisation „Ost-West-Wirtschaftsforum“ (OWWF) aktiv sind. 

Eberhard Sinner

Deren Präsident Eberhard Sinner richtete ebenso ein Grußwort an die Gäste wie ihr Geschäftsführer Hermann Pönisch, der mit berechtigtem Stolz auf den Beitrag der Gesellschaft zum Entstehen der Städtepartnerschaft Kyiv – München verweisen konnte. Peter Franke vom Bundesverband der deutschen Ost-West-Gesellschaften (BDWO) verwies auf die kontinuierliche Mitwirkung der BOG auf überregionaler Ebene, erst durch den ehemaligen Vereinsvorsitzenden Dr. Erich Fellmann, später durch die jetzige Vorsitzende Iris Trübswetter. Sie nahmen dadurch kontinuierlich Anteil an der Tätigkeit aller deutschen Vereine, die sich den Beziehungen zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verpflichtet fühlen.

Hermann Pönisch

 Eleonore von Rotenhan, Mitglied fast von Beginn an, berichtete davon, dass sie als Repräsentantin der evangelischen Kirche das zivilgesellschaftliche Element neben den vielen Wirtschaftsvertretern verkörperte, was Vereinsgründer Erwin Essl ein großes Anliegen war. Dieser wollte den Verein nicht ausschließlich auf die Knüpfung von Kontakten im Bereich der Wirtschaft beschränken, sondern die Zivilgesellschaft möglichst breit einbinden. Die Brücke zu den aktuellen Arbeitsschwerpunkten der BOG stellte der Erste Bürgermeister der Gemeinde Taufkirchen, Ullrich Sander, dar.

Ullrich Sander

Er steht für die von Michael Schanz vermittelte, aus der Not des Krieges geborene Solidarpartnerschaft Taufkirchens mit der Gemeinde Peretschyn in Transkarpatien, zu der die BOG seit nahezu 30 Jahren ein besonderes Verhältnis hat. Bürgermeister Sander betonte, dass es ihm ein großes Anliegen sei, in diesen schwierigen Zeiten der Partnergemeinde Peretschyn zur Seite zu stehen. Thematischer Schwerpunkt des Abends war das Referat von Dr. Anke Giesen von „Memorial International und Deutschland“ (Berlin). Sie informierte in einem Überblick über die „Opposition in der Russischen Föderation“ und zeigte eindrucksvoll auf, wie die zunächst sehr vielfältigen 

Dr. Anke Giesen

oppositionellen Strömungen mit zunehmender Dauer von Putins  Präsidentschaft immer weiter eingeschränkt wurden, bis mit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 die Repressionen immer extremere Formen annahmen und oppositionelle Stimmen eingeschüchtert oder ins Exil getrieben wurden. Das schon bestehende Gesetz zu „ausländischen Agenten“ wurde als Mittel zur Ausschaltung unliebsamer Kritiker immer exzessiver angewendet. Hastig eingeführte neue Straftatbestände wie „Verbreitung von Falschmeldungen über die militärische Spezialoperation“ führten zu Verurteilungen mit absurd hohem Strafmaß. Traditionelle Träger von kritischen Strömungen wie „Memorial“ und das „Sacharov-Zentrum“ wurden verboten. Während der durch medienwirksame Auftritte weithin bekannte Oppositionelle Alexej Navalny trotz aller Repressalien auch aus dem Gefängnis heraus einen gewissen Einfluss auf die oppositionell gestimmten Kreise ausüben kann, wurde der Regime- und

Peter Franke

Kriegsgegner Vladimir Kara-Mursa aufgrund einer fabrizierten Beschuldigung zu einer 25-jährigen Haftstrafe verurteilt und damit als Oppositioneller ebenso ausgeschaltet wie ungezählte namenlose Kriegsgegner, die sich jetzt in Haftanstalten befinden. Bemerkenswert ist, dass die lauteste Kritik an der Führung, vor allem der militärischen, von extrem nationalistischen Akteuren geübt wird. Während Evgenij Prigoshin, Gründer und Betreiber einer durch militärische Erfolge bekannt gewordenen Privatarmee, als Gegenspieler der obersten Militärs durch seinen auf halbem Weg abgebrochenen Umsturzversuch und den folgenden ungeklärten Tod als Gegenspieler ausschied, wurde Igor Girkin, 2014 maßgeblich an den Konflikten im Donbass beteiligt, wegen zu harscher Kritik am militärischen Vorgehen mittlerweile inhaftiert. Andere Militärblogger kommentieren den Kriegsverlauf aber weiterhin kritisch, wobei ihnen das Vorgehen der russischen Streitkräfte meist nicht aggressiv genug ist. 

Iris Trübswetter, Yanina Lipski (Dolmetscherin). OLga Barsak, von links

Nach dem festlichen Essen hatten die eigens aus der Ukraine angereisten Gäste Gelegenheit zur Vorstellung. Unsere langjährige Partnerin Olga Barsak, Bildungs- und Sozialreferentin der Gemeinde Peretschyn, zeigte eindrucksvoll das breite Spektrum der Zusammenarbeit mit unserem Verein, illustriert durch reiches Bildmaterial. Der Schwerpunkt unserer Hilfe in Peretschyn liegt auf der Förderung bedürftiger Kinder, der Unterstützung von Familien in schwierigen Situationen und seit Kriegsbeginn der Betreuung von

Yanina Lipski, Maria Koval Masiuta, Iris Trübswetter, von links

 Binnenflüchtlingen. Die Bürgermeisterin Maria Koval Masiuta aus der benachbarten Gemeinde Onokivski machte deutlich, welchen Beitrag unser Verein dort zu Infrastrukturprojekten leisten konnte, wie z.B. der dringend erforderlichen Errichtung einer funktionierenden Toilettenanlage in der Schule des Ortsteiles Kamjanitsia.
Ein weiterer wesentlicher Bereich unserer Arbeit wurde von Dr. Hanns-Werner Hey und seiner Frau Karla (Münsing) vorgestellt. Beide brachten 2006 die medizinische und soziale Unterstützung in Kirgistan in den Verein ein, was 2020 mit dem Erwerb eines eigenen Hauses für das Frauenschutzprojekt „NUR“ gipfelte, der einzigen derartigen Einrichtung in ganz Kirgistan,  wie Karla Hey betonte. Auf die brennende Problematik der medizinischen Hilfe für die ukrainische

Karla Hey

 Zivilbevölkerung wies schließlich Dr. Jörg Lohse (Münsing) hin. Das von ihm und Dr. Hey initiierte Projekt einer mobilen Klinik im ehemals russisch besetzten Bezirk Vyšhorod (nördlich Kyiv) läuft gerade an und ist dringend notwendig in einer Region, deren soziale Infrastruktur nach all den Zerstörungen ruiniert ist. Mit diesem eindrucksvollen und durchaus emotional geprägten Blick auf die brennenden Probleme in Kirgistan und der Ukraine schloss der Abend, der zeigte, dass entschlossenes Handeln von Menschen, denen die Not der anderen nicht gleichgültig ist, Hoffnung macht.
Volker Schindler