Irpin, eine junge verträumte Kleinstadt mit etwa 40 000 Einwohnern liegt keine 30 Kilometer von Kiew entfernt. Als vor über hundert Jahren die Eisenbahn von Kiew in den Westen gebaut wurde, wurde Irpin als Siedlung an einem Bahnhof gegründet und wuchs bald zu einer netten ruhigen Stadt heran. Grüne Parks, Plätze, weite Straßen und viele Familienhäuser prägen das Ortsbild. In der Umgebung weitläufige Kiefernwälder und Moore, ein nahes Naturschutzgebiet lud früher zum Urlaub ein.
Irpin vor dem Krieg (Quelle Internet Wikimapia)
Mit Kriegsbeginn im Februar 2022 wurde der Stadt und seinen Bewohnern die Nähe zum Flughafen Hostomel und Kiew zum Verhängnis. Überfallartigen Luftlandeoperationen russischer Streitkräfte folgte ein gewaltiger Vorstoß mit Bodentruppen, Panzern und Kanonen von Belarus aus. Nach kurzer Besetzung und schweren Kämpfen mussten sich die russischen Truppen zurückziehen, erstmals offenbarten sich damit ihre schweren Gräueltaten an Zivilisten. Bilder aus Irpin, dem benachbarten Butscha und Hostomel gingen um die Welt. Nach der „Schlacht um Irpin“ und dem Rückzug russischer Truppen nach Norden kamen zahlreiche Politiker, auch Olaf Scholz, bekundeten Entsetzen, Anteilnahme und sicherten ihre Hilfe zu.
Bombardierte Wohnviertel Irpins im März 2022 (Quelle N. Pisarenko AP)
Trotz des anhaltenden Krieges mehrere hundert Kilometer entfernt wird jetzt wieder aufgebaut, die Infrastruktur und Wohnhäuser auch mit finanzieller Hilfe des Westens repariert. Die Mittel kommen aber überwiegend Städten und zentralen Einrichtungen zugute. Dörfer, Weiler und Gehöfte im weiten Landkreis Wyshgorod, direkt nördlich Kiew, bleiben weitgehend unberücksichtigt, obwohl die medizinische Infrastruktur zerstört ist. Wer mobil ist, kann teilweise wieder Hilfe in den Städten suchen, wer keine Fahrmöglichkeit hat, ist von dieser zentralen Versorgung abgeschnitten.
Durch unsere Münsinger Initiative, die über den ganzen Landkreis Bad Tölz – Wolfratshausen strahlt, kommt nun Hilfe mit der „mobilen Klinik“. Unser Partner in der Ukraine ist das Sheptytsky-Krankenhaus im weit entfernten Lemberg (Lwiw), eine gemeinnützige Einrichtung der griechisch – katholischen Kirche. In persönlichen Kontakten und gegenseitigen Besuchen konnten wir uns überzeugen, dass wir einander vertrauen können und gemeinsam an einem Strang ziehen.
Diese Klinik hat nun in dem Städtchen Irpin eine kleine verlassene Sanitätsstation neben einem zerbombten Wohnhaus im Zentrum der Stadt gefunden. Nach der Reparatur einiger Schäden ist hier die Basis der mobilen Klinik eingezogen, eilends wurde unsere Ausstattung der mobilen Klinik dort eingelagert und auch bereits benutzt.
Irpin 1.August 2023:
Einweihung und Weihe der Klinikbasis der mobilen Klinik. 1. Reihe von rechts nach links: L. Hasiuk, Chefärztin – Irpins Priester mit goldener Stola – A. Lohin, Priester und Direktor des Sheptytsky-Krankenhauses
Die mobile Klinik ist gestartet!
Seit dem 1. August 2023 agiert die mobile Klinik von hier aus, die voll ausgestattete Notarztambulanz fährt bereits im Team zu Noteinsätzen, ist aber auch für Hausbesuche schwer Erkrankter unterwegs. Auf dem Foto die ersten Übungen nach dem Einrichten der Ambulanz. Krankenschwestern und Fahrer für die Klinik sind eingestellt. Die Suche nach weiteren Ärzten ist noch etwas zäh, da viele von ihnen im Krieg oder in den Kliniken arbeiten. Hier allerdings kommt uns die Nähe zum urbanen Zentrum Kiew zu Hilfe und die Chancen sind größer, geeignete Mitarbeiter zu finden. In den nächsten Wochen werden regelmäßige Touren des gesamten Trosses der Mobilen Klinik mit Ambulanz und Lastwagen über die weitläufige Landschaft von Siedlung zu Siedlung fahren und die Versorgung Schritt für Schritt wieder aufbauen. Wir wollten aber nicht warten, bis „alles perfekt ist“, sondern so früh wie möglich starten - die Not ist groß.
Wo startete dieses Projekt?
In der Gemeinde Münsing am Starnberger See starteten Dr. Jörg Lohse und Dr. Hannes Hey dieses Projekt und riefen zu Spenden auf. Viele Menschen und Firmen unterstützen diese Initiative im gesamten Landkreis Wolfratshausen-Bad Tölz. Mit den Spenden konnten hochwertige Ausrüstungsteile beschafft werden, die jetzt bereits im Einsatz sind.
Lemberg im Juli 2023
Mit diesem Geld kann das Sheptytsky Hospital die Miete der Sanitätsstation bezahlen, die Gehälter der ukrainischen Ärzte und Mitarbeiter, den Sprit und andere laufende Kosten.
Phantasie, Spontaneität und Gemeinsinn als Stärken tragen zum gesamten Geschehen bei: Ob ein total netter „Benefizfrühschoppen“ am Campingplatz beim Fischer in St. Heinrich (s. Foto), eine Sammlung bei einer Lesung, Pflanzenverkauf oder bei anderer Gelegenheit – Münsing hilft!
Einer der vielen Transporte ist vor Ort eingetroffen (eigene Bilder)
St. Heinrich Juli 2023: Benefizfrühschoppen beim Campingplatz „beim Fischer“ (eigene Bilder)
Betriebe unserer Gemeinde, auch die Gemeinde selbst und Einrichtungen im Landkreis überweisen Beiträge, Arztpraxen und Hilfsorganisationen bringen Sachspenden. Bislang konnten durch Ihre Spenden die gesamte Klinikausstattung und der Betrieb für August und September auf die Beine gestellt werden.
Damit es weitergehen kann, benötigen wir pro Monat etwa 10 000 Euro, um die laufenden Kosten bis zum Ende des Jahres zu decken – dann soll die mobile Klinik in die Regelversorgung der Ukraine übergehen und wir können uns wieder zurückziehen. Es ist also noch längerer Atem und viel Geld nötig, aber angesichts dessen, was bisher alles an Positivem geschehen ist, sind wir optimistisch, dass das Ziel erreicht werden kann. Vor allem sind wir froh und stolz darauf, dass es möglich wurde, dem Bösen und Schrecklichen dieses Krieges Zeichen der Hoffnung und der Hilfe entgegenzusetzen – und das alles mit Ihrer Unterstützung!
Nähere Informationen finden Sie unter der Website www.medizinische-nothilfe-oberland.de oder unter bayerische-ostgesellschaft.de
Spendenkonten: Bayerische Ostgesellschaft - Medizin. Hilfe: IBAN DE14 7015 0000 0908 2302 20
Medizinische Nothilfe Oberland: IBAN DE16 7005 4306 0011 9833 84
Zum Schluss noch ein Dank aus Koryukivka
Vor ein paar Wochen haben wir eine weitere Sendung mit dentalmedizinischem Material
der Münchner Zahnärztin Dr. Natalie Frenzel, u.a. zwei OP-Lampen und einem
Panorama-Röntgengerät mit Entwicklungsmaschine, unserem Kontaktmann Alex
Gorbashev übergeben, der das Equipment an das Krankenhaus der Stadt
Koryukivka in der Region Chernyhiv im Nordosten des Landes weiterleitete. Zehn
Tage später kam vom dortigen Krankenhausteam ein Kurz-Video mit dem herzlichen
Dank der Kollegen und der Einladung “uns doch nach dem Krieg zu besuchen“.
Vielleicht sollten wir das tatsächlich tun, denn Koryukivka ist für Deutsche ein
besonders schuldbeladener Ort: Wer die Stadt im Internet aufsucht, erfährt, dass
deutsche Soldaten 1942 zuerst die gesamte jüdische Einwohnerschaft – rund 300
Personen - und 131 Zivilisten erschossen ... und 1943, nach dem Angriff
sowjetischer Partisanen ...als Vergeltungsaktion mehr als 6700 Einwohner
umgebracht und über 1200 Häuser abgebrannt haben. Und Koryukivka ist für uns
nicht das einzige schwarze Loch in der Ukraine. Deshalb sollten wir versuchen, ein
wenig zurückzugeben - jetzt, in der Ukraine, und nicht nur für die mobile Klinik in Irpin
- auch für Peretschin, Kamyanitsa und wo und womit auch immer.
Dr. Jörg Lohse / Dr. Hanns-W. Hey